Aktion / Bericht
Wir meinen es ernst mit dem Gemeinwohl! - Interview mit Thomas Kuhn, Schatzmeister der ÖDP Berlin
Die ÖDP ist die erste gemeinwohlzertifizierte Partei. Was heißt das und warum habt ihr das gemacht?
Thomas Kuhn: Als ÖDP streben wir eine Wirtschaftsform an, die dem Gemeinwohl dient und nicht dem reinen Profitstreben einzelner. Wir stellen dafür in unserem Grundsatzprogramm politische Forderungen auf, die von den Unternehmen und der Gesellschaft Veränderungen verlangen. Wenn wir es damit ernst meinen, müssen wir das Geforderte auch selbst umsetzen. Mit der Zertifizierung wollen wir auch ein Vorbild sein und zeigen: Es geht! Gemeinwohlorientiertes Handeln ist möglich.
Was musste konkret für die GWÖ-Zertifizierung gemacht werden?
Für das Zertifikat mussten wir einen offiziellen, unabhängigen Prüfprozess durchlaufen, in dem untersucht wurde, inwiefern unser Handeln den Grundsätzen des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens (GWÖ) entspricht und wie es sich zukünftig verbessern lässt. Es gab mehrere Seminare und Workshops, und dann wurden unsere gesamte Struktur und unsere externen und internen (Geschäfts-)Beziehungen analysiert: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz sind die Werte, an denen unser Handeln sowohl intern als auch extern gemessen wurde.
Insgesamt gab es 20 Indikatoren, die im Hinblick auf diese Werte analysiert wurden. Das klingt erstmal recht abstrakt, ist es aber gar nicht. Es ging zum Beispiel darum, wie wir einkaufen. Nehmen wir als Beispiel unseren Drucker in der Geschäftsstelle: Welches Druckerpapier kaufen wir? Ist es aus ökologisch nachhaltiger Forstwirtschaft, können wir nachvollziehen, ob die Menschen, die an der Produktion beteiligt waren, fair behandelt werden? Auch diese vermeintlich kleinen Einkaufsentscheidungen sind ein Faktor, der das Gemeinwohl beeinflusst.
Gab es bei der Untersuchung etwas, das dich erstaunt hat?
Der Arbeitsaufwand, den der Prozess gemacht hat. Die Erarbeitung der Unterlagen hat mich persönlich mehr als 100 Arbeitsstunden gekostet und war wirklich aufwendig. Das hatte ich total unterschätzt.
Klar wurde auch, dass es Unterschiede gibt zwischen einer politischen Partei und einem „normalen“ Unternehmen: Wir haben zum Beispiel nur einen sehr kleinen Jahresumsatz, wir erwirtschaften keine Gewinne und wollen das auch gar nicht. Kunden im eigentlichen Sinne haben wir nicht, aber dafür Mitglieder, Wählerinnen und Wähler. Die Vergleichbarkeit ist nicht immer einfach gewesen. Unsere „Ware“ sind politische Ideen und unsere „Einkünfte“ im weitesten Sinne Wählerstimmen.
Hat es sich trotzdem gelohnt?
Ja, das denke ich schon. Ich persönlich habe sehr viel gelernt und das hat auch meine Arbeit als Landesschatzmeister verändert. Ich habe die gemeinwohlorientierten Faktoren in meinen Standard-Rechenschaftsbericht integriert und als Landesvorstand insgesamt sind wir uns bewusster darüber, was wir tun und dass unser Handeln eben mehr ist als politische Gremienarbeit. Wir wirken immer nach außen: durch unsere politische Arbeit und auch durch unsere Geschäftsbeziehungen. Das Durchleuchten unserer Arbeit hat gezeigt, was es eigentlich heißt, gemeinwohlorientiert zu handeln.
Hat sich durch die GWÖ-Zertifizierung etwas verändert? Gibt es zum Beispiel „blinde Flecken“, die entdeckt wurden?
Blinde Flecken vielleicht nicht, aber wir sind uns bewusster geworden, dass auch unsere vermeintlich kleinen Einkaufsentscheidungen wichtig sind. Es macht eben einen Unterschied, ob wir für unsere Veranstaltungen Saft und Kaffee billig beim Discounter oder im Bioladen einkaufen.
Es sind auch Ideen entwickelt worden, wie wir konkret etwas für das Gemeinwohl beitragen können. Ich möchte zum Beispiel unseren Vermieter davon überzeugen, dass wir das Regenwasser vom Dach des Hauses sammeln und damit die Straßenbäume vor unserer Geschäftsstelle versorgen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Siehe auch: Das GWÖ-Zertifikat und weitere Infos zur Gemeinwohlökonomie
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Thomas Kuhn, Schatzmeister des ÖDP-Landesverbands Berlin:
